Um die Gesundheitsversorgung hinreichend und flächendeckend steuern zu können, muss die Gesundheitspolitik zunächst Gesundheitsziele definieren. Anhand dieser Ziele kann, unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen und finanziellen Mittel, eine möglichst bedarfsgerechte Versorgung ausgerichtet werden.
Die Formulierung von Gesundheitszielen hat dabei zum Zweck, klare Vorgaben zur Verbesserung der Gesundheit in bestimmten Bereichen oder Bevölkerungsgruppen bzw. zur Verbesserung von Versorgungsstrukturen aufzustellen, welche dann mittels eines zielorientierten Managements umgesetzt werden können. Denn nur wenn eindeutige Ziele, Vorgaben und Indikatoren der Zielerreichung existieren, lässt sich der Fortschritt der Entwicklung von Versorgungsstrukturen kontrollieren. Die definierten Gesundheitsziele lassen sich somit als Steuerungsinstrument des Gesundheitsversorgungssystems verwenden.
Internationale Gesundheitsziele
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedete im Rahmen ihres Programms „Gesundheit für alle“ (GFA) bzw. „Health For All“ im Jahre 1981 erstmalig internationale Gesundheitsziele, mit der Absicht, das Gesundheitsniveau weltweit bis zum Jahre 2000 anzuheben.
Auf dieser Basis entwickelte das WHO-Regionalbüro für Europa im Jahre 1984 weitere Gesundheitsziele für den europäischen Raum, mittels derer die Gesundheitspolitik für Europa formuliert werden sollte. Diese insgesamt 38 Gesundheitsziele wurden innerhalb von vier Dimensionen ausgerichtet, welche betitelt wurden mit: „Chancengleichheit im Gesundheitswesen“, „das Leben lebenswerter machen“, „gesünder leben“ und „länger leben“. Strategisch sollten die Ziele durch eine insgesamt gesündere Lebensweise der Bevölkerung, durch verbesserte Umweltbedingungen sowie über ein qualitativ hochwertiges Leistungssystem – basierend auf den vier Versorgungsbereichen Prävention (Vorsorge / Verhütung), Kuration (Behandlung / Therapie), Pflege (Versorgung / Erhaltung) und Rehabilitation (Wiederherstellung) – verfolgt werden.
Im Jahre 1998 verabschiedete das WHO-Regionalbüro für Europa mit seinem Rahmenkonzept „Gesundheit 21“ neue Gesundheitsziele für den europäischen Raum, die „[…] in ihrer Gesamtheit das Wesen der Regionalpolitik“ (WHO-Regionalbüro für Europa 1998, S. 4) bilden und somit einen Handlungsrahmen auf Länder- und Gemeindeebene bieten. Dieses Rahmenkonzept wird anhand bestimmter Indikatoren systematisch beobachtet und regelmäßig aktualisiert und ist eine umfassende „[…] Orientierungshilfe hinsichtlich der Formulierung nationaler gesundheitspolitischer Konzepte […]“ (WHO-Regionalbüro für Europa 1998, S. 7). Es basiert auf einer gründlichen Analyse gesundheitsbezogener Probleme der Menschen der europäischen Region und beschreibt Ziele und Strategien, mittels derer die Länder, Organisationen und Bürger länderspezifische Konzepte in praxisnahe Programme auf lokaler Ebene umsetzen können (WHO-Regionalbüro für Europa 1998, S. 6). Das oberste Ziel des Rahmenkonzepts lautet „für alle das gesundheitliche Potential zu erreichen“ (WHO-Regionalbüro für Europa 1998, S. 8). Hierunter fallen zwei Hauptziele:
- „die Gesundheit der Bevölkerung während der gesamten Lebensspanne zu fördern und zu schützen sowie
- die Inzidenz der wichtigsten Krankheiten und Verletzungen zu reduzieren und die auf Krankheiten durch Verletzungen zurückführenden Leiden zu mindern.“ (ebd.)
Unter gesundheitswissenschaftlicher Betrachtungsweise ist dem ersten Hauptziel das Handlungsfeld der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention (präventiver Ansatz) zuzuordnen, beim zweiten Hauptziel hingegen das Handlungsfeld der Krankheitsprävention, Kuration und Rehabilitation (präventiver, kurativer und rehabilitativer Ansatz).
Das Rahmenkonzept „Gesundheit21“ basiert auf drei Grundwerten: Es verankert Gesundheit als fundamentales Menschenrecht und macht die „gesundheitliche Chancengleichheit und Solidarität im Handeln zwischen den Ländern und innerhalb der Länder“ (WHO-Regionalbüro für Europa 1998, S. 9) sowie die „Partizipation und Rechenschaftspflicht des einzelnen wie auch von Gruppen, Institutionen und Gemeinschaften […]“ (ebd.) zu seiner ethischen Grundlage. Auch die Mitgliedstaaten der WHO verpflichteten sich in ihrer gemeinsamen Weltgesundheitserklärung, welche auf der 51. Weltgesundheitsversammlung im Jahre 1998 verabschiedet wurde, das Prinzip der Gesundheit als Grundrecht des Menschen sowie die ethischen Konzepte der Chancengleichheit, der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit anzuerkennen (WHO-Regionalbüro für Europa 1998, S. 4).
Zu den vier Hauptstrategien für Maßnahmen im Rahmen von „Gesundheit21“ gehören (gekürzt aufgeführt) multisektorale Strategien, zielgerichtete Gesundheitsprogramme und Investitionen, integrierte familienorientierte und gemeindenahe primäre Gesundheitsversorgung und ein partizipatorischer Gesundheitsentwicklungsprozess. Die am regionalen Bedarf orientierte Umsetzung einschließlich der Messung der einzelnen Fortschritte des Konzepts „Gesundheit für alle“ soll innerhalb der einzelnen Länder individuell anhand der insgesamt 21 Ziele des Rahmenkonzepts erfolgen.
Nationale Gesundheitsziele
Die einzelnen Länder wurden durch die WHO aufgefordert, eigene nationale Gesundheitsziele zu entwickeln. Im Jahre 2000 beschloss das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Absprache mit den Ländern nationale Gesundheitsziele zu formulieren und zu implementieren. Das BMG beauftragte daraufhin Ende 2000 die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG), unter Mitwirkung von Bund, Ländern und weiteren Akteuren des Gesundheitswesen mit der Entwicklung nationaler Gesundheitsziele im Rahmen des Modellprojekts „Forum Gesundheitsziele Deutschland“ (www.gesundheitsziele.de). Dieser Kooperationsverbund, welcher aus mehr als 70 Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens besteht, hat seit seiner Gründung insgesamt sechs nationale Gesundheitsziele entwickelt und veröffentlicht:
- „Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln,
- Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen,
- Tabakkonsum reduzieren,
- Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz., Bewegung, Ernährung,
- Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient(inn)ensouveränität stärken,
- Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln“
(Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e. V. 2010).
Zurzeit werden einige der o.a. Ziele aktualisiert, ein weiteres, siebtes nationales Gesundheitsziel („Gesund älter werden“) befindet sich in der Entwicklung. Die für Deutschland definierten Gesundheitsziele beruhen auf dem Grundsatz der Chancengleichheit und verfolgen einen präventiven, kurativen und rehabilitativen Ansatz. Zudem zielt die deutsche Gesundheitspolitik darauf ab, die Eigenverantwortung der Patienten und damit auch die Selbsthilfe zu stärken. Da die Gesundheitsziele in Deutschland nicht gesetzlich verankert sind, hängt die zielorientierte Umsetzung der entsprechenden Konzepte allein von der Bereitschaft und Kooperation der involvierten Akteure ab.
Quellenangaben
Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e. V. 2010: Gemeinsame Erklärung des Kooperationsverbundes zur Weiterentwicklung des nationalen Gesundheitszieleprozesses. [www document] http://www.gesundheitsziele.de. Gelesen am 23.11.2011.
WHO-Regionalbüro für Europa (1998): Europäische Schriftenreihe „Gesundheit für alle“, Nr. 5. Gesundheit21. Eine Einführung zum Rahmenkonzept „Gesundheit für alle“ für die Europäische Region der WHO. Kopenhagen: WHO-Regionalbüro für Europa, Referat Veröffentlichungen).
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